Jüdische Geschichte von Eichstetten Stolpersteine in Eichstetten
Die Aktion "Stolpersteine" wurde im Jahr 1993 von dem Kölner Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen. Die erste (zunächst nicht genehmigte) Verlegung fand 1997 in Berlin-Kreuzberg statt. Inzwischen (Oktober 2018) gilt es mit 70.000 Steinen in rund 1300 deutschen Städten und in 23 weiteren europäischen Ländern als weltweit größtes dezentrales Mahnmal (Quelle: Wikipedia). Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums Köln
Stolpersteine sollen an ehemalige Mitbürger/innen erinnern, die in der Zeit von 1933 bis 1945 Opfer der Nationalsozialisten wurden. Name, Jahrgang und Schicksal der Personen werden in ein etwa 10x10 cm großes Messingblech eingeschlagen. Dieses Blech wird in Beton gegossen. Danach wird der Stein wie ein Pflasterstein verlegt.
Der erste Stolperstein in Eichstetten wurde auf Initiative von Frau Ursula Kügele im April 2003 in der Hauptstraße verlegt. Dort wohnte vor seiner Deportation und Ermordung im Konzentrationslager Dachau Abraham Dreifuß (Bericht). Über eine Spendenaktion des Heimat- und Geschichtsvereins Eichstetten (Aufruf) sind die Kosten für die Herstellung und Verlegung der meisten Stolpersteine in Eichstetten gedeckt. Inzwischen wurden 47 Steine verlegt.
STOLPERSTEINE – Gunter Demnig und sein Projekt
Eine Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums Köln
Aus Anlass des 60. Geburtstages von Gunter Demnig (27.10.1947) ehrte die Stadt Köln den Künstler mit einer Ausstellung über das Erinnerungsprojekt STOLPERSTEINE (Abb.1). Die Ausstellung zeigt den Werdegang des Projekts von 1990 an. Damals legte Gunter Demnig mit einer Druckmaschine (Abb.2) eine weiße Farbspur quer durch Köln, um den Weg der Deportation von 1000 Sinti und Roma zu markieren. Nach dem Verblassen der Spur ersetzte er das Band an 21 besonderen Stellen des Wegs durch Messingschriftzüge (Abb.3).
Die Entwicklung hin zum Gedanken „dezentraler Monumente“, den sog. STOLPERSTEINEN war nicht mehr weit. Seit 1995 wurden bis heute in inzwischen 280 Orten in der Bundesrepublik sowie an einigen Orten in Österreich und Ungarn ca. 12500 Stolpersteine verlegt. Sie sollen an den freiwillig gewählten Wohnorten der jeweiligen Bürger an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern: an die stigmatisierten, verfolgten, dann ermordeten Gruppen der Juden, Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Euthanasieopfer, der Homosexuellen, der aus religiösen Gründen Verfolgten... Die Ausstellung zeigt exemplarisch eine Auswahl von Stolpersteinen dieser Bevölkerungsgruppen. Umrahmt wurde die Vernissage von Musik, aufgeführt auf einer von Herrn Demnig entwickelten Klanginstallation „Trompeten von Jericho“ mit Saxophonbegleitung (Abb.4).
Ilse Biedermann
Ilse Biedermann geb. Hofeler, Bahlinger Straße 5, wurde am 26.01.1905 als Tochter des Viehhändlers Alfred Hofeler und seiner Frau Marie Hofeler geb. Maier in Eichstetten geboren. Ihre Großmutter war die in Eichstetten sehr bekannte Auguste Hofeler, die 1941 im Internierungslager Gurs starb, und zu deren Andenken 2007 vor dem Wohnhaus Hauptstr. 35 ein Stolperstein verlegt wurde.
Ilse Hofeler wuchs mit zwei Brüdern auf, mit Arthur, der später Reisender der Papierfabrik Epstein wurde, und mit Max (geb.1906), der des Vaters Gehilfe im Viehhandel wurde. Daneben gab es noch zahlreiche Kinder ihres Alters in christlichen wie jüdischen Familien, wenn auch die jüdische Gemeinde in Eichstetten ab 1900 zahlenmäßig abnahm. Im Juni 1932, wenige Monate vor der Machtübernahme der Nazis in Deutschland, starb Ilses Mutter. Es ist anzunehmen, dass Ilse fortan für die Haushaltsführung zuständig war. Bereits 1935 war der Vater Alfred Hofeler von den restriktiven Maßnahmen des sogenannten “Reichsnährstandes“ betroffen, da diese Organisation die Konzessionen an Viehhändler fortan nicht nur auf ein Jahr beschränkte, sondern ab 1937 die Neuvergabe der Konzession an die nicht näher beschriebene persönliche Zuverlässigkeit der entsprechenden Personen koppelte. Die wirtschaftliche Unsicherheit für diese Berufsgruppe nahm beängstigend zu. Es war daher eine kluge Entscheidung, dass im April 1936 der Sohn Max in das Land der Viehzucht, nach Argentinien auswanderte. Tatsächlich war der Vater Alfred Hofeler 1937 in Eichstetten das erste Opfer der willkürlichen und diskriminierenden Konzessionsvergabe. Es wurde ihm: (Zitat) der Handel mit Vieh im gesamten Reichsgebiet untersagt, da der Handeltreibende die für den Handelsbetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze (übliche Formulierung für Juden). Vermutlich fiel die Wahl auf ihn, weil mehrere Personen von seinen Einkünften abhängig waren, nicht nur seine Kinder, sondern auch seine alte Mutter Auguste Hofeler und seine beiden bereits verwitweten Schwestern, die ebenfalls in Eichstetten wohnten.
1936 konnte ein letztes frohes Ereignis gefeiert werden: Am 21.02.1936 heiratete Ilse Hofeler in Eichstetten den 35 jährigen Isidor Biedermann aus Randegg. Im April 1936 zog das Ehepaar nach Gailingen/Bodensee. In den amtlichen Unterlagen des Ortes Gailingen steht am 10.02.1938, dass der Reisende Isidor Biedermann anzeige, dass seine Ehefrau Ilse am 7. Februar 1938 im jüdischen Krankenhaus ein Mädchen geboren habe, das den Namen Marianne erhalten habe. Im gleichen Jahr 1938 verließ auch Ilses Bruder Arthur Eichstetten. Er zog mit seiner Ehefrau Else zunächst nach Schmieheim, wanderte nach England aus und von dort in die USA. Auch Ilse und Isidor Biedermann bemühten sich in Konstanz um Auswanderung. Es war jedoch zu spät. Am 22.10.1940 wurden das junge Ehepaar, ihr zweijähriges Töchterchen und der Bruder des Ehemanns nach Gurs deportiert.
Das gleiche Schicksal erlitten in Eichstetten der Vater Alfred Hofeler, seine verwitweten Schwestern und seine 87jährige Mutter Auguste Hofeler, die die Strapazen des Lagers nicht überlebte. Alfred Hofeler und seine Schwester Regine Kleefeld wurden von Gurs aus in ein französisches Altersheim verlegt und überlebten dadurch die Kriegsjahre.
Im Lager selbst bemühten sich mehrere Hilfsorganisationen, Kinder unter 16 Jahren aus dem Lager herauszuholen, um sie in Sicherheit zu bringen. So trennten sich auch Ilse und Isidor Biedermann schweren Herzens von ihrer kleinen Tochter. Sie hofften sicher auf ein späteres Wiedersehen. Aber ab Mitte 1942 erfolgte in mehreren Schüben der Abtransport der jüdischen Gefangenen in das Übergangslager Drancy bei Paris und von dort die Deportation nach Auschwitz, wo Ilse und ihr Ehemann ermordet wurden.
Die Tochter Marianne Biedermann überlebte den Krieg und kam nach Kriegsende 1946 als acht jähriges Mädchen in die USA. Dort wurde sie von dem Eichstetter Marcel Dreifuss, (geb. 1901), adoptiert, der schon früh in die USA ausgewandert war. Mit Sicherheit war ihm noch Mariannes Mutter Ilse Biedermann/Hofeler aus der Jugendzeit ein Begriff. Marianne Dreifuss-Biedermann ist leider relativ früh verstorben. (Ursula Kügele, Stand August 2009)
Siegfried und Auguste Bloch
Der in Schmieheim/Baden am 09.09.1881 geborene Siegfried Bloch heiratete im Jahr 1906 die in Eichstetten am 08.03.1884 geborene Auguste Weil.
Das Ehepaar, wohnhaft in Eichstetten, Hauptstr. 54, betrieb dort einen Kurzwarenladen. Auguste Bloch geb. Weil war Tochter der 1859 geborenen Ernestine Weil, genannt Esterle, die bis zum Verbot jeglicher wirtschaftlicher Tätigkeit bis 1939 in Eichstetten ein kleines Lebensmittelgeschäft betrieb (Foto).
Das Ehepaar Bloch hatte einen Sohn, den am 17.11.1907 geborenen Isidor Weil. Er überlebte die Jahre der Verfolgung durch Emigration in die USA.
Am 10.11.1938, am Tag der Synagogenbrandstiftung, wurden alle Männer Eichstettens nach diversen Schikanen und Demütigungen in Lastwagen in das KZ Dachau transportiert. Während zwischen Ende November 1938 und Januar1939 die Eichstetter Deportierten wieder frei gelassen wurden, haben zwei Eichstetter die Haftbedingungen, die Willkürakte und Torturen nicht überlebt: Siegfried Bloch und Abraham Dreifuss (siehe erster Stolperstein). Auf dem jüdischen Friedhof in Eichstetten steht zum Gedenken an den erst 58-jährigen Siegfried Bloch ein Grabstein. Von diesem 10.11.1938 an konnte sich kein Jude mehr in Deutschland sicher fühlen. Im Januar 1940 zog die inzwischen 81-jährige Ernestine (Esterle) Weil nach Unna/Westfalen; ihre Tochter, die Witwe Auguste Bloch zog im Februar 1940 nach Freiburg, weilte jedoch in den letzten Monaten vor der plötzlichen Deportation nach Gurs oft in Eichstetten. Von Gurs aus wurde sie 1942 in einem der Transporte zur Vernichtung der Juden über Drancy nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. (Ursula Kügele, Stand September 2007)
Bernhard und Sophie Bloch
Bernhard (Baruch) Bloch, geb. am 08.02.1863, dessen Eltern gegen 1850 aus Efringen-Kirchen und Breisach nach Eichstetten zugezogen waren, war Schuhhändler. Am 10.12.1890 heiratete er in Eichstetten Lina Hofeler. Seine Frau wurde am 23.01.1866 in Eichstetten geboren und entstammte einer alten, bereits seit den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in Eichstetten ansässigen Familie. Das Ehepaar wohnte im Haus der Bahlinger Str. 3. Es hatte vier Töchter, von denen die folgenden drei das Kindesalter überlebten: Sophie genannt Sowe geb. am 01.11.1891, Bella geb. am 13.10.1892 und Emma geb. am 28.8.1898.
Emma Bloch soll nach Kinder- und Jugendzeit in Eichstetten nach dem ersten Weltkrieg in die USA ausgewandert sein und hieß nach ihrer dortigen Heirat Emmy Hamburger. Auch die Schwester Bella ist früh in die USA ausgewandert, wo sie mit nur 33 Jahren am 14.10.1925 in Cedarhurst N.Y. verstarb.
Am 14.01.1931 verstarb die Mutter Lina Bloch; sie ist auf dem Eichstetter Friedhof bestattet. Die älteste, unverheiratete Tochter Sophie führte von nun an dem verwitweten Vater den Haushalt. Über die bedrückend schweren Jahre nach Verbot der Berufsausübung wurde über Sophie Bloch überliefert, dass sie abends ins Oberdorf hastete, um dort von einem den Juden noch wohlgesonnenen Bauern Gemüse zu kaufen.
Am 22.10.1940 wurden Vater und Tochter ins südfranzösische Lager Gurs deportiert, wo Bernhard Bloch unter den harten Lagerbedingungen starb (Grabstein). Die Räumung des Lagers Gurs erfolgte ab 1942 in vier Transporten über Drancy nach Auschwitz. Sophie Bloch wurde in Auschwitz ermordet.
Gustav, Mathilde, Maier Max und Hermann Bloch
Eltern: Gustav Bloch geb 02.07.1878 (Stolperstein) und Mathilde Bloch geb. Lehmann aus Offenburg 13.2.1876 (Stolperstein)
Kinder: Margarethe Bloch geb. 18.09.1908, Maier Max Bloch geb. 07.09.1909 (Stolperstein), Hermann Bloch geb. 13.5.1911 (Stolperstein) und Ludwig Bloch 30.01.1916
Gustav Bloch war ein gebürtiger Eichstetter, er war wie die meisten jüdischen Eichstetter Viehhändler. Sein Großvater Samuel Bloch war im 19. Jahrhundert Kantor der jüdischen Gemeinde. Gustav Blochs Eltern Maier Hirsch Bloch und Theresia Guggenheimer heirateten um 1870 und hatten vor Gustav Bloch bereits vier Kinder, die aber alle vor ihrem vierten Geburtstag gestorben sind.
So war Gustav Bloch das älteste überlebende Kind und übernahm später das Viehhandelsgeschäft seines Vaters. Er „ging übers Land“, d.h. kaufte und verkaufte Vieh im näheren Umkreis, also nach Hugstetten und Nimburg, nach Bahlingen und Endingen. Er fuhr aber auch – so erinnerte sich sein Sohn Ludwig– zum „großen Markt“ in der Nähe von Ulm.
Seine Frau Mathilde war eine geborene Lehmann und kam aus Offenburg nach Eichstetten. Sie führte den Haushalt und zog die vier Kinder groß: die Älteste, Margarethe, genannt Gretel, die Söhne Maier Max und Hermann und den Jüngsten, Ludwig, Jahrgang 1916.
Ich konnte mit Ludwig Bloch auf meinen Forschungsreisen nach Israel 1993 und 1995 sprechen: Er erzählte von seiner Kindheit in Eichstetten: Er war in einem christlichen Kindergarten und hatte vorallem christliche Freunde– es gab in den 1920er-Jahren nur noch wenige Kinder in der jüdischen Gemeinde. Ludwig Bloch erzählte, wie er mit seinen Freunden heimlich im Kirchturm herumgeklettert ist und dass sie alle natürlich ordentlich Ärger bekommen haben, er erzählte davon, dass er wie die christlichen Kinder am Heiligabend in der Kirche Geschenke bekommen hat, und er erzählte vom jüdischen Religionsunterricht beim Kantor Leopold Mirwis; er schilderte den kleinen Mann als sehr streng. Ludwig Bloch erzählte auch, dass sein Vater sich mit den anderen jüdischen Männer am Schabbes im Gasthaus Rössle getroffen hat.
Wie ging es weiter mit den Blochs?
Die älteste Tochter Margarethe ging schon in den 1920er Jahren nach Paris und machte dort eine Schneiderlehre, sie kam dann manchmal als junge, schicke Dame nach Eichstetten zu Besuch.
Ludwig Bloch, genannt Lubbele, der Jüngste, machte in Emmendingen eine Bäckerlehre und danach eine landwirtschaftliche Ausbildung in Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina. Er wanderte dann bereits in der Mitte der 1930er-Jahre aus und lebte in Palästina in der ersten Zeit im selben Kibbuz wie andere junge Eichstetter: Meta Epstein, Tochter des Vorstehers der Gemeinde, und Kurt Mirwis, Sohn des Kantors, waren auch nach Palästina ausgewandert.
Die beiden anderen Brüder Maier Max und Hermann Bloch arbeiteten im Viehandel ihres Vaters mit, bis Gustav Bloch aufgrund der Verfolgung im Dritten Reich bereits im März 1937 sein Geschäft aufgeben musste. Wie die anderen jüdischen Familien in Eichstetten versuchten sich die Blochs irgendwie über Wasser zu halten.
Von Hermann Bloch ist bis jetzt nur bekannt, dass er zumindest versuchte nach Frankreich zu emigrieren – dazu muss weiter geforscht werden. Sein Bruder Maier Max blieb wohl noch länger bei den Eltern, zog dann aber vor 1940 nach Freiburg, wo auch einige andere Eichstetter hingeflüchtet waren, um auf ihre Ausreisepapiere in die USA oder nach Südamerika zu warten.
Sie alle - bis auf Ludwig Bloch - sahen sich im Konzentrationslager Gurs wieder: Gustav und Mathilde Bloch wurden am 22.10.1940 aus Eichstetten deportiert, Maier Max aus Freiburg, Hermann Bloch und auch die Schwester Margarethe wurden vermutlich von Paris aus nach Gurs deportiert.
Margarethe Bloch bekam im Lager Gurs ein Kind. Sie schaffte es aus Gurs herauszukommen und später mit ihrem Sohn nach Kanada zu emigrieren.
Mathilde Bloch starb zwei Monate nach ihrer Deportation in Gurs, also im Dezember 1940. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt, aber die Berichte von Gurs sind bekannt: Hunger, Krankheiten und der Verlust der Heimat brachten in diesem ersten Herbst in Gurs mit Mathilde Bloch mehr als 1000 Menschen um, an manchen Tagen wurden 25 Menschen zu Grabe getragen. Mathilde Bloch wurde 64 Jahre alt. Ihr Grab ist auf dem Friedhof des Konzentrationslagers Gurs.
Von Gustav Bloch und seinen beiden Söhnen Maier Max und Hermann gibt es keine Grabstelle. Sie wurden am 10.08.1942 von Gurs über Paris nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. (Christina Weiblen, Freiburg)
Rahel "Rescha" Bloch
Rahel Bloch wurde 1885 in Eichstetten geboren. Ende der 30er Jahre lebte sie zusammen mit ihrer 10 Jahre älteren, verwitweten Halbschwester Julie Moses geb. Bloch, in der Hauptstr. 22. Der Vater der beiden Frauen war Leopold Bloch, geb. 1846, gest. 1906, Kaufmann in Eichstetten. Er war in erster Ehe verheiratet mit der 1853 in Legnau in der Schweiz geborenen Babette Maier.
Aus dieser Ehe stammten drei Kinder, darunter die 1875 geborene Julie. Nach dem Tod der erst 26 jährigen Mutter ging Leopold Bloch 1880 eine zweite Ehe ein mit der 1857 geborenen Klara Maier, die weiteren neun Kindern das Leben schenkte, darunter der 1885 geborenen Rachel. Es war keineswegs unüblich, als Witwer Geschwister des verstorbenen Ehepartners zu ehelichen. Die Namensgleichheit kann aber auch Zufall sein; der Geburtsort der zweiten Ehefrau ist in den Akten nicht vermerkt; Klara Maier war wohl nicht Schweizerin.
Die immer schwieriger werdende Situation der jüd. Mitbürger bewog auch ältere Menschen, nach Möglichkeiten größerer Sicherheit zu suchen (siehe Fanny Rosenbusch). Im März 1940 emigrierte Julie Moses in die Schweiz. Man muss davon ausgehen, dass diese lebensrettende Ausreise durch die aus der Schweiz stammende Mutter möglich wurde. Es ist schwer vorstellbar, dass nicht auch Rachel Bloch versucht hätte, in die Schweiz zu gelangen. Es fehlte vermutlich die Schweizer Abstammung. Jedenfalls konnte eine Ausreise nicht mehr rechtzeitig erfolgen vor der Massendeportation der jüd. Mitbürger am 22.10.1940 in das Lager Gurs in den Pyrenäen. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Von 1942 an wurden die Insassen von Gurs über das Lager Drancy bei Paris nach Auschwitz transportiert. (Ursula Kügele, Stand November 2006)
Abraham Dreifuss
Abraham Dreifuß wurde am 15.05.1865 in Eichstetten in eine hoffnungsvolle Zeit hineingeboren. 1862 war in Baden das Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten in Kraft getreten. Eichstetten hatte damals über 400 Einwohner jüdischen Glaubens, was ca. 14% der Bevölkerung entsprach. Das Zusammenleben der Konfessionen vor Ort konnte als gut bezeichnet werden. Zunächst besuchte Abraham noch die jüdische Schule, nach Aufhebung der Konfessionsschulen ab 1876 die örtliche, allgemeine Schule. 1882 trat er als Lehrling in das Manufakturwarengeschäft Diebold u. Söhne in Eichstetten ein. Nach der Lehre war er kurze Zeit auswärts tätig, kehrte dann wieder nach Eichstetten zurück. Er trat erneut in das Geschäft Diebold und Söhne ein und behielt die Stellung als Reisender bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs. Mit Franz A. Diebold feierte er sein 25 jähriges Jubiläum in diesem Geschäft.
Nach der Heirat mit Johanna Alexander wurden dem Ehepaar Dreifuß 1896 die Tochter Lilly und 1899 der Sohn Max geboren. 1914 verliert Abraham Dreifuß seine Arbeitsstelle. Das Geschäft wechselt den Besitzer. 1916 wird Sohn Max zum Kriegsdienst eingezogen. Schwerkrank kommt er aus dem Krieg zurück. 1923 stirbt die Mutter Johanna. Die Tochter Lilly und deren Ehemann eröffnen in Eichstetten ein eigenes kleines Textilgeschäft und werden dabei von Abraham Dreifuß nach Kräften unterstützt. Ab 1933 führten die politischen Veränderungen auch in Eichstetten zu einem starken atmosphärischen Wandel. Was bisher normal, anständig und gut nachbarschaftlich war, sollte nun verwerflich und schädlich für das sog. Deutschtum sein. Es gab Denunziation ebenso wie untadeliges, mitmenschliches Verhalten vor Ort.
Am 10.11.1938 wurde von auswärtigen Rädelsführern und Helfershelfern vor Ort die Synagoge in Eichstetten niedergebrannt. Außerdem wurden alle männlichen Eichstetter jüdischen Glaubens abgeführt und nach Dachau transportiert, darunter Abraham Dreifuß und sein Sohn Max. In Dachau wurde der Vater vor den Augen des Sohns derart gequält, dass er an den Folgen der Misshandlungen am 22.11.1938 in Dachau starb. Sohn Max wurde am 20.11.1938 entlassen. (Ursula Kügele, Wittnau)
Babette Dreifuss
Nach der Wohnraumerfassung vom Juni 1936 wohnten in Fachwerkhaus Eisengasse 8 damals die Witwe Babette Dreifuss und das Metzgerehepaar Ehepaar Jakob und Melanie Bickart. Babette Dreifuss, 1863 in Altdorf geboren, war mit dem Handelsmann Moritz Dreifuss verheiratet, der 1853 in Eichstetten geboren wurde. Er war der Älteste von drei Brüdern, die alle in Eichstetten geboren waren und dort Familien gegründet hatten.
Moritz Dreifuss hatte am 13.03.1883 die fünf Jahre jüngere Jette Dreifuss (Mädchenname) aus Altdorf geheiratet. Neun Monate später bringt Jette Dreifuss die Tochter Fanny zur Welt. Die Mutter erkrankte an dem gefürchteten Kindsbettfieber und starb im Alter von 25 Jahren. Weniger als ein Jahr nach der Hochzeit war Moritz Dreifuss, 30 jährig, bereits Witwer mit einem neugeborenen Kind. Für diese Fälle sieht das jüdische Religionsgesetz vor, dass der Witwer - sofern vorhanden - eine unverheiratete Schwester der verstorbenen Frau heiratet, zum Wohle zurückbleibender Halbwaisen. Moritz Dreifuss heiratete noch im Jahr 1884 die zehn Jahre jüngere, erst 20 jährige Babette Dreifuss, Schwester von Jette Dreifuss. Die kleine Fanny Dreifuss starb nichtsdestotrotz im Januar 1884.
Mit Babette Dreifuss hatte Moritz Dreifuss drei Kinder: Den ersten Sohn Arnold, der später nach Australien auswanderte und englischer Staatsbürger wurde, die Tochter Hermine, die 1925 als 36 jährige in Eichstetten verstarb und den 1893 geborenen Sohn David, der wahrscheinlich bereits im Kindesalter verstarb. Der Ehemann Moritz Dreifuss starb im Alter von 69 Jahren im Jahr 1923. Babette Dreifuss war alleinstehende Witwe, hatte aber durch die Brüder ihres Mannes Schwäger und Schwägerinnen, Nichten und Neffen in der Nähe.
Ab November 1938 wurden die Lebensbedingungen der jüdischen Mitbürger nicht nur sehr schwierig sondern grauenvoll. Am Tag der Zerstörung der Synagoge wurde auch das Haus Eisengasse 8 beschädigt. Die am selben Tag erfolgte Festnahme aller männlichen Eichstetter jüdischen Glaubens und deren Deportation nach Dachau hat Babettes Schwager Abraham Dreifuss nicht überlebt. Dessen Sohn Max Dreifuss und der Mitbewohner des Hauses Eisengasse, Jakob Bickart, kehrten als erste Eichstetter aus Dachau nach Hause zurück: verändert, verstört, und mit dem Ziel, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Schwager Max Dreifuss wanderte im Februar 1939 zu seinem Sohn Marcel in die USA aus. Die noch relativ jungen Kinder des ermordeten Schwagers Abraham (Max und Irma Dreifuss, Lilly und Siegfried Sommer mit Sohn Armin) bemühten sich um Auswanderungsgenehmigungen. Sie zogen zwecks besserer Informationslage nach Freiburg. Der Mitbewohner des Hauses Eisengasse, Jakob Bickart, konnte sich selbst und seine zweite Frau im Jahr 1939 in die USA in Sicherheit bringen.
So waren Ende 1939 außer Babette Dreifuss keine Mitglieder der Dreifuss-Familie mehr in Eichstetten. Unter Zurücklassung ihres Mobiliars ging Babette Dreifuss 1940 nach Freiburg zu Bekannten oder Verwandten, wenige Monate vor der überraschenden Deportation. Am 22.10.1940 wurden sie und auch die o. g. Angehörigen in Freiburg festgenommen und in das Internierungslager Gurs deportiert. Am 09.01.1941 starb sie dort, 77 jährig, an den miserablen Haftbedingungen. (Ursula Kügele, Stand Juli 2008)
Johanna Dreifuss
In Eichstetten lebten drei zu einer Familie gehörende Mitglieder der aus Breisach stammenden Familie Dreifuss: Moritz und Babette Dreifuss mit Kindern in der Eisengasse, Abraham und Johanna Dreifuss geb. Alexander mit Kindern in der Hauptstraße, Max und Klara Dreifuss mit Kindern in der Nimburgerstraße. Max und Klara Dreifuss hatten zwei Kinder, den 1901 geborenen Sohn Max und die 1902 geborene Tochter Johanna. Über diese beiden Kinder schreibt das fast gleichaltrige ehemalige Nachbarskind Liselotte Krische: „Zu früher Stunde erschien dann auch Johanna, das etwas ältere Nachbarskind der jüdischen Familie Dreifuss. Johanna hatte einen sehr intelligenten Bruder Max, der vor Hitler nach New York entkommen konnte. Aber sie selbst war geistig zurückgeblieben. Johanna stand frühmorgens bei uns an der Tür und wich und wankte nicht, obwohl mein kleiner (gehässiger) Bruder Heinz Hugo ihr einmal mit einem Rechen auf den Kopf schlug. Dann verschwand sie heulend, aber nur für kurze Zeit. Schon war sie wieder da. Sie bekam für solche Missetaten meines Bruders dann immer eines von meinen Spielsachen geschenkt, was mir zurecht missfiel. Lange Zeit trauerte ich daher einem kleinen Puppenklavier nach, das ich sehr liebte.“
Was die späteren schrecklichen Jahre des dritten Reichs betrifft, so traf Johanna ein doppeltes Stigma, Jüdin sein und behindert sein. 1931 starb die Mutter Klara Dreifuss. Ob der Sohn Max noch vor oder erst nach dem Tod der Mutter in die USA auswanderte, ist mir nicht bekannt. Er wuchs jedenfalls in Eichstetten mit Cousins und Cousinen auf, mit Jugendlichen seiner Generation also z. B. mit den Kindern der Familie Hofeler. In den USA gab er sich den Vornamen Marcell und wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann. Man kann davon ausgehen, dass Marcell seinem verwitweten Vater die Auswanderung nahe legte, als der Lebensspielraum für jüdische Menschen immer mehr eingeengt wurde. Das Problem war aber die behinderte Johanna. Für sie gab es keine Genehmigung zur Auswanderung. So blieb der Vater in Eichstetten, betrieb weiter seinen Viehhandel, bis er 1938 zwangsweise sein Gewerbe aufgeben musste.
Die Deportation der männlichen jüdischen Mitbürger nach Dachau nach der Zerstörung der Synagoge am 10.10.1938 machte jedem klar, dass ein Ausharren in Deutschland lebensgefährlich sein konnte. Der Bruder Abraham Dreifuss hatte die Tortur in Dachau nicht überlebt. Nur mit dem Affidavid, der Bürgschaftserklärung zur Übernahme sämtlicher Kosten für den Lebensunterhalt eines Einwanderungswilligen durch einen US-Bürger, in diesem Fall von Marcell, konnte man zu einem so späten Zeitpunkt noch mit einer Bewilligung rechnen. Man mag sich die schwierige Situation nicht vorstellen: die eigene, relativ hilflose Tochter alleine in Deutschland zurücklassen oder bleiben im Bewusstsein dessen, dass man der Tochter womöglich auch dann nicht wird helfen können.
Im Januar 1939 brachte Max Dreifuss seine Tochter in einem Heim in Karlsruhe unter. Im Februar 1939 flüchtete er zu seinem Sohn in die USA. Johanna Dreifuss wechselte später noch in das israelitische Dauerwohnheim Berlin-Weissensee, in dem auch behinderte Menschen Aufnahme fanden.
Danach verliert sich ihre Spur. Marcell und Max Dreifuss konnten auch nach dem Krieg das Schicksal von Johanna nicht klären. So wurde Johanna Dreifuss mit Datum 08.05.1945 für tot erklärt. Auch diesjährige Forschungen haben keine Klarheit gebracht. Vielleicht über seine nach Uruguay geflüchteten Verwandten erfuhr Marcell Dreifuss vom Schicksal der jungen Familie Biedermann. Er adoptierte die gerettete, 1945 7 jährige Marianne Biedermann. So kehrt die kleine Tochter zu einer Eichstetter Familie zurück. Leider lebt Marianne Biedermann/Dreifuss nicht mehr. Sie starb im Erwachsenenalter, aber dennoch bereits recht früh. (Ursula Kügele, Stand August 2009)
Sophie Epstein
Im Altweg in Eichstetten stand bis 1938 die Synagoge. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zahlreiche jüdische Bürger im Umkreis ihres Gotteshauses wohnten. So auch der Mehlhändler David Epstein mit seiner Ehefrau Mathilde Epstein geb. Veit, und seinen Kindern Siegfried (Jg. 1891) und Sophie (Jg. 1895). Die Familie stammt von den ältesten in Eichstetten nachgewiesenen jüdischen Familien ab. Gegen 1800 trug sie noch den Namen Levi, bis sie 1809 einen festen erblichen Namen annehmen musste und sich für Epstein entschied. In vier Generationen stellten die Epsteins die Vorsteher der jüdischen Gemeinde.
Über David Epstein hörte man im Ort: „Der einzige Jud’, der was schafft!“ Der Mehlhändler Epstein fuhr die Mehlsäcke auf seiner vollbeladenen Karre zu seinen Kunden im Dorf. Diese Arbeit galt etwas, denn sie war mit großer körperlicher Anstrengung verbunden. Der Handel mit Vieh hatte bei den Bauern nicht den gleichen Stellenwert. Der Sohn Siegfried wanderte schon früh in die USA aus. Als in den 30er Jahren die Lebensbedingungen für die jüdische Bevölkerung immer schwieriger und unsicherer wurden, dachte wohl auch diese Familie an Auswanderung. Aber der weit über 70 jährige Vater traute sich diesen Wechsel wohl nicht mehr zu. Er starb 1938, 75 jährig und wurde auf dem hiesigen jüdischen Friedhof beerdigt. Glücklicherweise, möchte man sagen, erlebte er die Zerstörung der Synagoge nicht mehr.
Die zurückgebliebenen Frauen, die 74 jährige Mutter Mathilde und ihre 45 jährige Tochter Sophie bemühten sich um eine Ausreise in die USA. Zu diesem Zeitpunkt war dies nur mit einem Affidavit, einer Bürgschaftserklärung des Sohnes möglich. Es war ein Glücksfall, dass eine Einreisegenehmigung im Juli 1939 noch genehmigt wurde. Die Mutter wanderte als erste aus. Man kann mutmaßen, dass dies gerade mit dem Alter, mit der Beschwerlichkeit der Reise und einer befürchteten Altersbegrenzung zusammenhing. Sicher hatten die zwei Frauen keinen Zweifel daran, dass die Tochter binnen weniger Wochen würde nachreisen können. Zum Zweck der rascheren Regelung der Ausreiseformalitäten zog Sophie im September 1939 sogar noch nach Freiburg um. (So gibt es von ihr kein Foto in der sogannnten Judenkartei.)
Der Beginn des zweiten Weltkriegs und die überraschende Deportation der Juden nach Gurs am 22.10.1940 machten die Pläne zunichte. Sophie war unter den Deportierten. 1942 wurde sie ins Übergangslager Drancy bei Paris gebracht und von dort im Konvoi am 06.11.1942 mit weiteren 1000 Juden nach Auschwitz deportiert und dort im Alter von 48 Jahren ermordet. Täglich wird die Mutter in Amerika daran gedacht haben, dass ihre Tochter noch leben könnte, wenn sie als erste in die USA eingereist wäre. (Ursula Kügele, Stand August 2009)
Karl und Rosa Hauser
Salomon Hauser, Jahrgang 1845 und seine Ehefrau Karoline Hauser, geb. Weil, Jg.1849, zogen nach ihrer Hochzeit, etwa um das 1875, nach Eichstetten zu. Der Beruf des Ehemanns wird mit Handelsmann angegeben. Spätestens ab 1892, nach dem Tod des Synagogendieners Bär Maier, versah Salomon dieses Amt in Eichstetten bis ins hohe Alter hinein, vielleicht bis zu seinem Tod im Jahr 1936. Möglich ist, dass Salomon Hauser schon seit Übernahme dieses Amtes im Altweg 23 wohnte, also nahe bei der Synagoge. Von der Tätigkeit als Synagogendiener war der Lebensunterhalt seiner Familie allerdings nicht zu bestreiten, so dass er nach wie vor seinem Beruf nachging. Das Ehepaar hatte 4 Kinder, von denen das erste tot geboren wurde. Die weiteren Kinder waren: Karl Hauser, geb. am 23.02.1881, Herrmann Hauser, Jg.1883, er starb 1913 im Alter von 31 Jahren und Rosa Hauser, geb. am 21.05.1888.
Als die Ehefrau und Mutter Karoline Hauser im Jahr 1922 starb, wohnten der 77 jährige Vater mit Sohn Karl und Tochter Rosa mit großer Wahrscheinlichkeit im Altweg 23 zur Miete, dort wo sie auch bei der Wohnraumerfassung im Juni 1936 registriert wurden (Chronik S.138/39). Da der Vater, 90 jährig, bereits im Januar 1936 verstarb, sind in der Statistik nur noch die Geschwister Karl und Rosa aufgeführt. Viele Fragen bleiben unbeantwortet, was das Leben der Geschwister betrifft. Hat Karl Hauser am ersten Weltkrieg teilgenommen? Die Schwester Rosa, Berufsangabe Büglerin, war Ende des ersten Weltkriegs bereits 30 Jahre alt. Wieso war sie nicht verheiratet? War sie in der Rolle als Hausfrau für den Bruder, den betagten Vater und die vielleicht kranke Mutter unentbehrlich? Auch weiteres bleibt im Dunkeln. An keiner Stelle fand ich einen Vermerk, dass das Geschwisterpaar ins Ausland ausreisen oder fliehen wollte. Waren es fehlender finanzieller Spielraum oder einfach das natürliche Gefühl, Deutscher zu sein, hier beheimatet zu sein und niemandem etwas zu Leide getan zu haben, was sie bewog, in der gewohnten Umgebung auszuharren? Dies trotz Synagogenbrand und vorübergehender Deportation von Karl Hauser ins KZ Dachau.
So wurde das Geschwisterpaar am 22.10.1940 von Eichstetten aus nach Gurs deportiert, von dort 1942 über Drancy nach Auschwitz transportiert und dort ermordet. Was den Wohnsitz Altweg 23 anbetrifft, so ist es möglich, dass Karl und Rosa Hauser zwischen 1937 und 1939 noch in das Haus Mühlenstraße 16 umgezogen sind. Dieses Haus gehörte der Witwe Mathilde Rothschild. Mathilde Rothschild hatte einen Sohn, der bereits in die USA ausgewandert war. Sie entschied sich, zu ihrem Sohn auszuwandern. Aus diesem Grunde schloss sie mit den Geschwistern Hauser einen sog. Verpfründungsvertrag ab. D. h. auf der Basis eines gegenseitigen Treueverhältnisses zwischen Leihendem und Beliehenen wurde das Haus in der Mühlenstraße 16 an Karl und Rosa Hauser verliehen. Als im Januar 1939 die Mitbewohnerin Johanna Dreifuss nach Karlsruhe gezogen war, und im November 1939 der bereits 77 jährigen Mathilde Rothschild die Auswanderung geglückt war, könnten Karl und Rosa Hauser das unbewohnte Haus übernommen haben. Wenige Monate später erfolgte die überraschende Deportation nach Gurs. Da die Geschwister Hauser den größten Teil ihres Lebens im Haus Altweg 23 verbrachten, wurden hier zum Gedenken an sie die Gedenksteine verlegt. (Ursula Kügele, Stand Juli 2008)
Sigmund und Flora Hene, Sonja Hene
Seit Mai 1936 lebte Flora Hene geb. Judas, mit ihren Kindern in Eichstetten, Hauptstraße 14 und ab 1939 in der Hauptstraße 22. Flora Hene als Flora Judas 1898 in Ihringen geboren, war mit dem 1894 geborenen, in Hassloch a. d. Weinstraße ansässigen Textilkaufmann Sigmund Hene verheiratet. Das Ehepaar hatte fünf Kinder: Wiltrude (geb. 1927), Karl (geb. 1929), Vera (geb. 1931), Sonja (geb. 1932), Harry (geb. 1934). Bereits 1935 wurde Sigmund Hene denunziert, verhaftet und ins KZ Dachau verbracht. In Existenznöte getrieben, fanden Flora Hene und ihre Kinder durch die Unterstützung des Bruders Gustav Judas in Eichstetten wieder eine Heimat. Gustav Judas nahm anfangs auch die Tochter Wiltrude in seiner Familie in Freiburg auf, um dem Kind den Schulbesuch in der jüd. Zwangsschule in Freiburg zu ermöglichen.
Sigmund Hene, aus dem KZ Dachau zurück in Eichstetten, versuchte 1938 nach Frankreich zu gelangen. Die Flucht misslang, er wurde festgenommen und in das KZ Buchenwald deportiert, wo er am 16.09.1942 ermordet wurde.
Flora Hene, die an keine Zukunft in Deutschland mehr glaubte, bemühte sich, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Den Kindern Karl, Vera und Sonja wurde in Eichstetten der Schulbesuch noch gestattet, weil die Abreise der Kinder schon in die Wege geleitet war. Die 6 jährige Sonja wurde 1938 bei ihrer älteren, in Melun bei Paris verheirateten Cousine Susanne Silberschmidt untergebracht. Im Frühjahr 1939 kamen die Kinder Karl und Vera mit einem Kindertransport in die Schweiz, wo sie die Naziherrschaft überlebten. Flora Hene selbst stellte einen Antrag auf Emigration in die USA.
Die 1939 nun auf drei Mitglieder reduzierte Familie (Flora Hene mit Kindern Wiltrude und Harry) gab das Haus Hauptstraße 14 auf und zog in 2 freie Zimmer im Haus Hauptstraße 22. Im Oktober 1940 wurden alle verbliebenen Eichstetter Bürger jüd. Glaubens in dem Anwesen Altweg 6-8 untergebracht. Die Rückkehr in ihre Wohnungen wurde ihnen untersagt. Am 22.10.1940 wurden Flora, Wiltrude und Harry Hene zusammen mit den anderen jüdischen Mitbürgern nach Freiburg und von dort in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich transportiert. Dort versuchten Hilfsorganisationen, Kinder aus dem Lager heraus zu holen, um sie in Sicherheit zu bringen. Auf diese Weise gelangte die 14 jährige Wiltrude in die Cevennen, der 7 jährige Harry in die Nähe von Limoges, wo beide mit viel Glück den Krieg überstanden. In Gurs stellte Flora Hene einen Antrag auf Verlegung in das Lager Noé, wo ihre 20 Jahre ältere Schwester inhaftiert war. Als 1942 von dort Transporte nach Polen zusammengestellt wurden, angeblich zu Arbeitseinsätzen, nahm Flora den Platz ihrer Schwester ein, in der Annahme, als 44 Jährige die körperliche Anstrengung eher überstehen zu können als als 64 Jährige. Die Transporte gingen nach Auschwitz, wo Flora Hene am 28.8.1942 ermordet wurde. Die Ausreisebewilligung in die USA hat Flora Hene nicht mehr rechtzeitig erreicht. Die Schwester hat im Lager Noé überlebt.
In dem von den Nazis ab 1940 besetzten Frankreich gab es auch hier für Juden keine Sicherheit mehr. 1942 wurde die 8 jährige Sonja Hene aus der Schule heraus abgeführt, über das Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 3 Monate später ereilte die Gastfamilie Silberschmidt das gleiche Schicksal. (Ursula Kügele, Stand November 2006)
Auguste Hofeler und Thekla Kleefeld
Auguste (Giddel) Bernheimer wurde am 15.04.1853 in Eichstetten geboren. Sie war das jüngste Kind aus der zweiten Ehe des Alexander Levi Bernheimer und seiner aus Breisach stammenden Ehefrau Magdalena Geismar. 1872 heiratete Auguste den in Eichstetten am 22.02.1843 geborenen Handelsmann Theodor Hofeler. Dem Ehepaar wurden fünf Kinder geboren: Alfred geb. 15.05.1873, Regina geb. 21.08.1874, Thekla geb. 06.07. 1878. Die Zwillinge Sigmund und Anna geb. 05.06.1880. Nur Sigmund überlebte die ersten Lebensmonate. Über sein weiteres Leben liegen keine Daten vor. Die Familie zählte zu den wohlhabenden, angesehenen Familien in Eichstetten und bewohnte das eigene Haus in der Hauptstraße 33.
Während der Sohn Alfred in Eichstetten blieb, haben beide Töchter nach Breisach ausgeheiratet, Regine Kleefeld und Thekla Kleefeld, haben dort Kinder bekommen, sind aber nach dem Tod ihrer Ehemänner wieder nach Eichstetten zu der Mutter gezogen. 1940 wohnte Thekla Kleefeld bei ihrer Tochter Johanna in Freiburg, die dort Sekretärin der jüdischen Gemeinde war. Auguste Hofeler verlor ihren Mann nach 64 Ehejahren; Theodor Hofeler starb am 05.04.1936 im Alter von 93 Jahren.
Der Sohn Alfred Hofeler, Viehhändler in Eichstetten, war verheiratet mit Marie Hofeler geb. Maier, die bereits 1936 starb. Er versuchte seine Mutter und seine Schwestern so gut wie möglich zu unterstützen, bis ihm im Februar 1937 von Amts wegen der Handel mit Vieh im gesamten Reichsgebiet untersagt wurde (Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben). Das Ehepaar hatte drei Kinder: Max geb. 1906, Arthur geb. 1910 und Ilse. Max wanderte bereits 1936 nach Argentinien aus. Arthur bis 1935 Reisender für die Papierfabrik Epstein, zog mit seiner Frau 1938 nach Schmieheim und emigrierte von dort über Großbritannien in die USA. Ilse Hofeler heiratete 1936 Isidor Biedermann aus Gailingen. Das junge Ehepaar und dessen kleine Tochter Marianne (geb. 1938) wurden 1940 von Gailingen nach Gurs deportiert. Die kleine Tochter wurde aus dem Lager gerettet, in die USA gebracht und dort von einem schon früher ausgewanderten Eichstetter adoptiert. Die Eltern Ilse und Isidor Biedermann wurden in Auschwitz ermordet.
Am 22.10.1940 wurden die 87 jährige Auguste Hofeler sowie ihre Kinder Alfred, Regina und Thekla mit ihrer Tochter Johanna in das südfranzösische Lager Gurs transportiert. Dort starb Auguste Hofeler am 08.01.1941 an den Strapazen und Entbehrungen der Lagerhaft (Grabstein). „Wir bestatten sie, fern von der Ruhestätte ihres seligen Mannes, auf dem Friedhof des Lagers, inmitten von fast 900 Leidensgefährten als Opfer unseres Kampfes.“ (siehe Eichst. Chronik Bd.II, S.152)
Thekla Kleefeld und ihre Tochter wurden 1942 nach weiterer Deportation über Drancy in Auschwitz ermordet. Alfred Hofeler und Regina Kleefeld gelang es in Gurs, in ein südfranzösisches Altersheim verlegt zu werden, wo sie überlebten. Während Alfred nach dem Krieg in die USA ausgewandert ist, wo er 1955 starb, versuchte Regina Kleefeld trotz der grausamen Erfahrungen in Deutschland, in das Eichstetter Elternhaus zurückzukehren. Regina Kleefeld, die in Freiburg ca. ein Jahrzehnt zur Untermiete wohnte, gelang dies nicht, ein beklemmendes, unaufgearbeitetes Kapitel. Sie starb am 01.10.1959, im Alter von 85, in der Freiburger Klinik. (Ursula Kügele, Stand September 2007)
Isaak Hofeler und Sohn Leo Hofeler
Isaak Hofeler zählt zu einer der ältesten jüdischen Familien Eichstettens. Der Stammbaum lässt sich bis 1700 zurückverfolgen. Gegen 1780 ließen sich die ersten Vorfahren in Eichstetten nieder, der Beginn einer weitverzweigten Sippe mit angesehenen Viehhändlern Isaak Hofeler wurde am 14.06.1848 in Eichstetten als viertes von acht Kindern des Leopold Hofeler und seiner Frau Judith Haas geboren. Nur fünf Kinder haben das Erwachsenenalter erreicht, von denen allerdings vier in Eichstetten geblieben sind und hier Familien gegründet haben. So ist Isaak Hofeler z.B. der Schwager von Auguste Hofeler, für die ein Gedenkstein in der Hauptstraße 33 verlegt worden ist. Als 1870 der dt./frz. Krieg ausbrach, war Isaak Hofeler 22 Jahre alt. Mit zahlreichen anderen Eichstetter jungen Männern nahm er als deutscher Soldat an diesem Krieg teil. Nach dem ersten Weltkrieg, im Jahr 1925, wurde der 77 jährige Kriegsveteran Isaak Hofeler in Freiburg vom RjF (wohl Ring jüd. Frontkämpfer) zum Ehrenmitglied ernannt. Am 13.10.1878 heiratete Isaak Hofeler die 20 jährige Mina Palm aus Grötzingen. Erst 32 Jahre alt, starb seine junge Frau im Jahr 1891. Kurz darauf heiratete er die 20 Jahre jüngere Fanny Palm, die Schwester der Verstorbenen. Mit ihr zusammen hatte er vier Kinder, von denen zwei tot zur Welt kamen und der 1897 geborene Sohn Leo behindert war. Die 1894 geborene Tochter Johanna heiratete später David Klein aus Eichstetten. Die Ehe blieb kinderlos. 1922 verstarb Isaak Hofelers zweite Frau Fanny. Im Haus Altweg 11 lebten von dann an der 72 jährige Isaak, seine Tochter Johanna und deren Ehemann David Klein. Ob der behinderte Sohn u. Bruder Leo auch noch innerhalb der Familie lebte und wie stark seine Behinderung war, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. In der Photoserie zur Juden-Kennkarten–Aktion von der Jahreswende 1938/39 (Eichst. Chronik, Bd. 2 S. 140-146) fehlt sein Bild. Er lebte also zu diesem Zeitpunkt nicht in Eichstetten. Es fehlt auch das Foto von Johanna Klein. Sie starb zwei Jahre zuvor, 1936, erst 41 jährig.
Wie viele Schicksalsschläge mussten Isaak Hofeler und auch sein Schwiegersohn ertragen? Wenn sie auch sicher in der Verwandtschaft Halt fanden, so fanden sie doch keine Ruhe, denn die politischen Verhältnisse erzeugten in allen jüdischen Familien ein Klima der Angst. 1938, nach der Zerstörung der Synagoge und der ersten Deportationswelle aller jüdischen Männer nach Dachau, dachte jeder, der nur irgendeine Möglichkeit sah, an Flucht aus Nazi-Deutschland. Im März 1939 wanderte der Nachbar von gegenüber, Papierfabrikbesitzer Heinrich Epstein nach Brasilien aus und überträgt sein Vorsteheramt der jüdischen Gemeinde an David Klein. Dieser, damals 43 Jahre alt, sah noch Möglichkeiten für eine Ausreise. Er blieb aber noch bis Ende 1939 in Eichstetten, bis er als Verantwortlicher für das Gelände der abgebrannten Synagoge alles Finanzielle „zwangsgeregelt“ hatte. Er kann sich dann noch nach England retten. Zuvor zog sein inzwischen 90jähriger Schwiegervater Isaak Ende März 1939 in das jüdische Altersheim nach Gailingen am Bodensee um. Dieses Heim wurde 1895 vom oben genannten Heinrich Epstein mitgegründet. Es erhielt einst den Namen ‚Friedrichsheim’, aus Dankbarkeit gegenüber dem badischen Großherzog. Der alte Isaak Hofeler musste dort noch erfahren, dass sein behinderter Sohn Leo am 02.04.1940 in der Tötungsanstalt Grafeneck ums Leben gekommen ist. Trotz seines hohen Alters wurde Isaak Hofeler am 22.10.1940 wie Tausende badischer Juden in das südfranzösische Lager Gurs deportiert, wo er einen Monat später, am 22.11.1940, 92-jährig, unter den dortigen erbärmlichen Verhältnissen starb. (Ursula Kügele, Stand Juli 2008)
Sara, Berta und Betty Klein
Sara Klein geb. Bloch 1861 geboren, war seit 1885 mit dem Handelsmann Lehmann (Ascher) Klein verheiratet, der am 02.03.1859 in Eichstetten geboren wurde, dort am 25.06.1927 verstarb und auf dem Eichstetter jüdischen Friedhof beerdigt wurde. Was die Adresse der Familie Klein anbetrifft, so ist durch die 1936 erhobene „Aufstellung der in der Gemeinde Eichstetten lebenden Juden“ gesichert, dass die verwitwete Frau Sara Klein und ihre beiden Töchter ab dem damaligen Zeitpunkt im ehemaligen jüdischen Schulhaus wohnten. Von den sechs Kindern des Ehepaars sind drei bereits wenige Monate nach der Geburt gestorben. Die verbliebenen Kinder sind: Berta geb. am 17.3.1888, Betty geb. am 28.9.1892 und David geb. am 23.2.1896.
Betty arbeitete später als Kontoristin in der Papierfabrik Epstein. Sohn David war Viehhändler, verlor aber wie alle jüdischen Mitbürger bis spätestens Dezember 1938 seine Gewerbelizenz durch die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Im März 1939 übertrug der damals nach Brasilien auswandernde Papierfabrikant Heinrich Epstein sein Amt als Vorsteher der jüdischen Gemeinde an David Klein. In dessen kurze Amtszeit fällt die erzwungene Veräußerung des Synagogengrundstücks für 500 RM an die politische Gemeinde; denn nach der Zerstörung der Synagoge am 10.11.1938 wurde die jüdische Gemeinde vom Badischen Bezirksamt verpflichtet, der Gemeinde Eichstetten die Kosten für die Aufräumungsarbeiten zu erstatten.
David Klein emigrierte wenige Monate später, im August 1939, nach Großbritannien, in der Hoffnung, von dort seine Mutter und die Schwestern besser unterstützen zu können. Sara Klein und ihre unverheirateten Töchter Berta und Betty wurden am 22.10.1940 in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. Die bereits 80 jährige Mutter wurde von Gurs ins Lager Noé überstellt, wo sie verstarb. Die beiden Schwestern überlebten zwar den bitterkalten Winter 1940/41 und die damals im Lager grassierenden Epidemien, wurden aber in den ab 1942 einsetzenden Transporten über Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Leopold und Hermine Mirwis
Leopold Mirwis, letzter Kantor der jüdischen Gemeinde Eichstetten, wurde am 14.06.1874 in Litauen, in Schadow Krs. Krowno, geboren, wo er bis 1897 die Jugendjahre verbrachte. Am Rheinischen Konservatorium der Musik in Köln erhielt er von 1898-1901 seine Ausbildung. Von dort kam er nach Eichstetten, wo er die Kantorenstelle von Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1940 innehatte. Er galt als sehr seriös, streng, als ein Gelehrter. Ihm oblag auch die religiöse Ausbildung der jüdischen Jugendlichen. Wie in Eichstetten üblich, war mit der Kantorenstelle auch das Amt des von der jüdischen Gemeinde bestellten „Schochet“ (Schächter für das Kleinvieh) verbunden.
Leopold Mirwis heiratete am 30.01.1906 die am 04.11.1880 geborene Hermine Bickart. Diese stammte aus einer alteingesessenen Eichstetter Familie (seit dem 1. Drittel des 18. Jahrhunderts; siehe Eichstetter Chronik II, S.128) und war 5. von 7 Kindern des Eichstetter Handelsmanns Gustav Bickart und seiner Ehefrau Jeanette Rieser.
Das Ehepaar Mirwis hatte zwei Söhne, die beide bereits 1933 nach Palästina ausgewandert sind und dadurch die Shoah überlebten: Der 1906 in Eichstetten geborene Julius und der 1912 geborene Sohn Kurt.
Das Kantorenehepaar wohnte in Eichstetten in dem bis 1876/77 als jüdische Schule genutzten Gebäude, heute Bahlingerstr.7. Nach der Zerstörung der Eichstetter Synagoge am 10.11.1938 wurden in diesem Haus die jüdischen Gottesdienste abgehalten, bis am 22.10.1940 das Ehepaar Mirwis, zusammen mit den noch verbliebenen jüdischen Einwohnern Eichstettens in das südfranzösische Lager Gurs deportiert wurde. Leopold Mirwis, herz- und asthmakrank, hat die schrecklichen Lagerbedingungen nicht überstanden und starb in Gurs. Seine Ehefrau Hermine wurde in das südfranzösische Lager Récébédou verlegt, wo sie im Alter von etwa 61 Jahren verstarb. (Ursula Kügele, Stand September 2007)
Fanny Rosenbusch
Fanny Rosenbusch wurde 1864 geboren und war nahe Verwandte, wahrscheinlich Schwester von Simon Rosenbusch. Letzterer wurde 1873 in Schwebheim bei Schweinfurt geboren und war verheiratet mit der Eichstetterin Charlotte Weil geb. 1881. Das Ehepaar hatte ein Kind, den 1913 geborenen Sohn Kurt. Charlotte Rosenbusch starb bereits 1930 (Grabstein auf dem jüdischen Friedhof), sodass Fanny Rosenbusch möglicherweise in diesem Jahr nach Eichstetten zog, um den Haushalt des Witwers Simon Rosenbusch und dessen 17 jährigen Sohn zu versorgen. Simon Rosenbusch verstarb 1936 (Grabstein auf dem Eichstetter Friedhof). Nach dem Tod des Vaters verließ der Sohn Kurt Deutschland. Er erwarb 1947 die britische Staatsangehörigkeit. Die alleinstehende Fanny Rosenbusch lebte Ende der 30er Jahre zusammen mit den Schwestern Rahel Bloch und Julie Moses sowie Flora Hene und deren Kindern Wiltrude und Harry in Eichstetten in der Hauptstraße 22.
Die bedrückende politische und wirtschaftliche Situation veranlasste Fanny Rosenbusch, im Mai 1940 zu ihren Verwandten nach Schwebheim bei Schweinfurt umzuziehen. Daher wurde Fanny Rosenbusch nicht von der fünf Monate später erfolgten Massendeportation der badischen und Rheinpfälzer Juden nach Gurs erfasst. Im Alter von fast 80 Jahren wurde sie später ins Lager Theresienstadt deportiert, wo sie entweder selbst zu Tode kam oder in einem Vernichtungslager ermordet wurde. (Ursula Kügele, Stand November 2006)
Isaak Weil und Karolina Seelig mit Siegfried Fritz und Walter Weil
Isaak Weil, am 24.1.1866 in Eichstetten geboren, war 8. von 11 Kindern (davon starben 2 im Kindesalter) des aus Orschweier/Lahr stammenden David Weil und seiner aus Eichstetten stammenden Ehefrau Rosa (Reichel) Bickart. Isaak Weil war verheiratet mit Mathilde Bickart, genannt Hedwig. Aus der Ehe gingen mehrere Kinder hervor: Theophil geb. 1902, Julius geb. 1903, Meta geb. 1907, Siegfried Fritz geb. 1909 und Walter geb. 1913.
Die Tochter Meta wanderte 1935 nach Rotterdam aus; von dort gelang ihr im August 1939 die Flucht nach Großbritannien. Der älteste Bruder Theophil ging im Januar 1935 nach Freiburg und flüchtete später wie sein Bruder Julius über Schanghai in die USA.
Siegfried zog im März 1938 nach Karlsruhe, ging von dort in ein Umschulungslager nach Paderborn zwecks landwirtschaftlicher Ausbildung. Sein Bruder Walter arbeitete damals als selbstständiger Vertreter von Silberbesteckwaren, bis ihm Mitte 1938 die Ausübung des Gewerbes außerhalb des Wohnorts untersagt wurde (Entzug der Gewerbelizenz für Juden). Von den männlichen jüdischen Eichstettern, die nach dem Synagogenbrand am 10.11.1938 deportiert wurden, kehrte Walter als letzter der Häftlinge am 23. Januar 1939 aus Dachau nach Hause zurück. Danach folgte er seinem Bruder in das Umschulungslager nach Paderborn. Da Walter im Frühjahr 1939 offenbar nicht mehr in Eichstetten wohnte, ist er nicht in der Juden-Kennkartenkartei erfasst; es existiert dort kein Foto von Walter Weil.
Ziel der Brüder Siegfried und Walter war die Auswanderung nach Palästina. Tragischerweise gelang ihnen das nicht mehr vor den Massendeportationen. Beide wurden in Auschwitz ermordet.
Im Haus Hauptstraße 69 in Eichstetten wohnte Ende der dreißiger Jahre neben dem inzwischen verwitweten Isaak Weil auch seine 1864 in Eichstetten geborene Schwester Karoline Seelig. Sie hatte sich am 17.01.1893 mit Bendix Seelig aus Solz bei Kassel verheiratet und verließ daher Eichstetten. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie als Witwe zurück nach Eichstetten zu ihrem Bruder.
Isaak Weil und Karoline Seelig wurden am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Beide überlebten die in jeder Hinsicht erbärmlichen Lebensbedingungen im Lager Gurs nicht.
Samuel "Semy" und Betty Weil
Der Viehhändler Samuel Weil, genannt Semy, wohnhaft im Altweg 6 wurde am 09.05.1866 als viertes von sechs Kindern des Ehepaars Baruch und Zerline Weil in Eichstetten geboren. Seit dem 16.12.1895 war er mit Rahel Epstein verheiratet, die am 16.03.1872 in Eichstetten geboren wurde und am 04.04.1939 in Freiburg verstarb. Aus der Ehe gingen wohl zwei Töchter hervor (Quellenlage nicht eindeutig): Paula Weil geb. am 23.11.1896 und ihre 1903 geborene Schwester Betty Weil. Paula Weil verheiratete sich nach auswärts, Betty Weil zog zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Odenheim in den Kraichgau. Im April 1939 kehrte Betty nach Eichstetten zu ihrem nunmehr verwitweten Vater zurück. Im Oktober 1940 wurden Semy und Betty Weil von Eichstetten in das in Südfrankreich gelegene Lager Gurs transportiert, von dort 1942 in das Sammellager Drancy bei Paris geschafft und letztendlich im KZ Auschwitz ermordet. (Ursula Kügele, Stand Januar 2007)
Emil Weil
Zum ersten Mal ist es am 14.07.2011 in Eichstetten gelungen, dass Gunter Demnig einen Stolperstein in Anwesenheit von direkten Angehörigen der Opfer verlegen konnte. Manfred Weil, begleitet von seiner Ehefrau Alisa und beider Tochter Schulamit nahm den Stein zum Gedenken an seinen Vater Emil Weil in Empfang, ein bewegender Moment.
Die Wege von Vater und Sohn hatten sich vor 70 Jahren im Lager Gurs getrennt. Vor dem Haus Hauptstraße 54 liegen bereits drei Stolpersteine für Ernestine Weil, genannt „Esterle“, die Mutter von Emil Weil, für Auguste Weil/Bloch, die Schwester von Emil Weil und für den Schwager Siegfried Bloch.
Hatten wir Emil Weil vergessen? Nein, wir wussten einfach nichts von seiner Existenz. Emil Weil ist in keinem amtlichen Eichstetter Register verzeichnet. Erst als Manfred Weils Sohn René aus Amerika seinem Vater berichtete, dass in Eichstetten Stolpersteine für Großmutter und Tante, aber nicht für den Vater Emil Weil verlegt seien, erfuhren wir von Alisa Weil in anschließenden Telefonaten, dass Emil Weil in Breisach geboren wurde. Damit war ein Ansatz für weitere Forschung gegeben.
Die Großmutter „Esterle“ Weil, - bei der Verlegung ihres Gedenksteins wussten wir nur wenig Gesichertes über ihr Leben, - stammte aus einer seit 1790 in Eichstetten ansässigen Familie. 1882 heiratete sie mit 23 Jahren in Breisach den vier Jahre älteren Handelsmann Isaak Weil und zog in dessen Elternhaus. Die Heirat ist also in Eichstetten nicht dokumentiert. 1883 kam in Breisach der erste Sohn Emil zur Welt, in Breisach gemeldet, aber natürlich nicht in Eichstetten. 1884 erwartete Esterle das zweite Kind. Alles sieht nach geordneten Verhältnissen aus. Aber wirtschaftlich liefen die Geschäfte des Ehemanns wenig erfolgreich. Wegen bevorstehenden Konkurses flüchtete er in die USA und ließ sich in Buffalo, in der Nähe des Erie-Sees, nieder. Esterle brachte in Breisach die Tochter Auguste zur Welt und zog nach dem Wegzug des Ehemanns mit den zwei kleinen Kindern nach Eichstetten zu ihren Eltern. So wohnte Emil zwar in Eichstetten, aber nur wenige Monate, denn bereits 1885 folgte Esterle ihrem Ehemann in die USA.
Nahm sie ihre kleinen Kinder mit? Ich persönlich nehme an, dass sie definitiv bei ihrem Ehemann in Buffalo zu bleiben gedachte, die Kinder also mitnahm. Dort wurde zwei Jahre später, im November 1887 der zweite Sohn Jakob geboren. Innerhalb der anschließenden zwei Jahre, spätestens 1890, muss der Ehemann Isaak Weil in Amerika gestorben sein. Dies erklärt auch, wieso es weder in Eichstetten noch in Breisach eine Sterbeurkunde für Isaak Weil und in beiden Gemeinden auch kein Grab für ihn auf dem Friedhof gibt.
Ernestine, die junge Witwe, war jedenfalls 1890 schon wieder nach Eichstetten zurückgekehrt. Hier hat ihr Vater vor dem Standesamt die traurige Mitteilung machen müssen, dass „Jakob, 2 Jahre alt, geboren in Buffalo, Sohn des verstorbenen Isaak Weil, am 30.10.1890, 5 Uhr früh verstorben sei“.
Was geschah mit den Kindern Emil und Auguste? Für mich scheint es schlüssig, dass Esterle die Kinder Auguste und den kleinen Jakob von den USA nach Eichstetten zurückbrachte und Emil, damals ca. sechs Jahre alt und schulpflichtig, bei einem wohlhabenden Onkel zurückließ, der der Mutter eine gute Erziehung und Ausbildung für ihren Sohn versprach.
Hierzu schreibt Manfred Weil in seinem Buch: „Die Großmutter Ernestine, gerade Witwe geworden, traf diese Entscheidung vermutlich in dem Glauben, ihrem Sohn eine glänzende Zukunft in Amerika zu ermöglichen. Der Vater Emil jedoch beklagte sich später, seinen Söhnen gegenüber, bei allem Verständnis, das er seiner Mutter entgegenbrachte, bitter über die Jahre in Amerika. Es war das Gemüt des Onkels, diese beklemmende Mischung aus Geiz, Lieblosigkeit und Ignoranz, die seine Jugend dort überschattet hatte.“ Er litt also jahrelang unter den dortigen Verhältnissen und sehnte sich nach Fürsorge, Wärme und Liebe der Mutter und der Familie. Als junger Erwachsener verließ Emil rasch die amerikanische Familie.
Mit guten Sprachkenntnissen und Schulbildung ausgestattet, übte er eine Reihe unterschiedlicher Tätigkeiten aus und bereiste mehrere südamerikanische Länder. Er fuhr auch eine Zeitlang zur See. Allerdings erkrankte er in den Tropen an Malaria. Man riet ihm, zur Genesung nach Deutschland zurückzukehren, tropische Länder zu meiden und das Tropeninstitut in Hamburg aufzusuchen. Diesen Ratschlag befolgte er und wurde wieder gesund. Da er Deutscher war, wurde er mit Kriegsbeginn 1914 zum Kriegsdienst eingezogen. Er kehrte mit zwei Tapferkeitsmedaillen aus dem Krieg zurück. Diese soll er bis nach Auschwitz bei sich getragen haben.
Eher durch Zufall denn durch Absicht landete er nach dem Krieg in Köln, wo er seine zukünftige Frau Emma Bremen, eine Katholikin, kennenlernte und heiratete. Aus der Ehe stammen die beiden Söhne Manfred und Anatol, der vor einigen Jahren gestorben ist. Beiden Söhnen war er ein fürsorgender und liebevoller Vater, wohl eingedenk seiner eigenen freudlosen Jugend. Mitte der 20er Jahre bis Ende der 20er Jahre waren wohl die wenigen glücklichen Jahre, die er verbringen durfte in finanziell gesicherter Stellung und familiärer Zufriedenheit. In dieser Zeit besuchte er auch mit Familie zweimal Mutter und Schwester in Eichstetten.
Emil Weil war ein erfolgreicher Geschäftsmann, dem aber „Geldverdienen nicht wirklich etwas bedeutete und der keine Reichtümer anhäufte“ (Zitat Manfred Weil). So waren in der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre die Ersparnisse der Familie bald aufgebraucht und der Umzug in eine billigere Wohnung in einem Arbeiterviertel war nur der Anfang vom Abstieg. Auch häufte sich Antisemitisches, z. B. der teils umjubelte Palästinawagen beim Kölner Karnevalsumzug. Am 01.04.1933 erfolgte der Boykottaufruf gegen jüdische Geschäfte. Auch in der Firma, in der Emil Weil als Prokurist arbeitete, häuften sich Provokationen. Der Geschäftsführer erhielt Drohbriefe, dass sein Geschäft boykottiert werde, falls ein Jude weiterhin eine leitende Stelle bekleide. Auf seinem eigenen Schreibtisch fand er morgens den Stürmer, das Kampfblatt der Nazis.
Resignierend gab Emil Weil seine Stellung auf und versuchte als Mitteilhaber einer Glasschleiferei den Lebensunterhalt zu sichern. Es war für die Familie eine Katastrophe, als ein Erlass von Staats wegen die gemeinsame wirtschaftliche Betätigung mit Nichtariern verbot. Emil Weil musste auch den 2. Betrieb verlassen. Die Familie stand am Rande des Ruins.
Der Vater drängte die Söhne, sich der zionistischen Jugendorganisation anzuschließen und einen praktischen Beruf zu wählen, der in Palästina gefragt wäre. Manfred und Anatol wurden beide Tischler.
Irgendwann trennten sich die Eltern, wohl in der Annahme, dass die Familie dann von Anfeindungen verschont bleiben würde. Für Emil Weil stand fest, nicht in Deutschland bleiben zu können. Mitte 1937 floh er über das Hohe Fenn in der Eifel nach Belgien, nach Antwerpen.
Der Sohn Manfred versuchte im Frühjahr 1938 den illegalen Übertritt nach Holland, der aber zweimal misslang. Erst zusammen mit Anatol gelang den Brüdern die Flucht nach Luxemburg. Beim Durchschwimmen des Grenzflusses wären sie beinahe ertrunken. In Antwerpen trafen sie ihren Vater wieder. Dieser bestritt mit Englischunterricht seinen Lebensunterhalt. Manfred wurde als Student an der Königl. Akademie der Schönen Künste aufgenommen. Es war ein schönes und wegweisendes Jahr für Manfred, der bis heute Kunstmaler ist. Der Bruder Anatol, noch nicht 18 Jahre alt, wurde in das Jugendarbeitslager Eksaarde eingewiesen.
Im Frühjahr 1940 kamen Gerüchte über einen möglichen dt. Überfall auf Belgien auf. Weils glaubten nicht, dass die Deutschen dies ein zweites Mal riskieren würden. Aber sie taten es. Für die Belgier, die den Immigranten gegenüber bisher großzügig und offen waren, waren die Geflüchteten nun plötzlich Deutsche, denen man nicht trauen konnte. Sie mussten sich bei den Behörden melden. Zusammen mit weiteren Deutschen, Österreichern und Tschechen wurden sie nach Frankreich abgeschoben. Anatol, der jüngere Bruder, blieb im Jugendarbeitslager in Belgien. Jenseits der belgisch-französischen Grenze wurden die zu Internierenden in Viehwaggons verladen und in tagelanger Fahrt ohne Essen und Trinken schließlich am Mittelmeer im ehemaligen Lager St. Cyprien ausgeladen. – Der Ort ist übrigens nicht weit von Eichstettens Partnergemeinde St. André entfernt. –
Es fehlte an allem, Typhus brach aus, der Tod war ständiger Begleiter. Nach der Niederlage Frankreichs und einem administrativen Vakuum konnten diejenigen, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollten, das Lager verlassen. Für Juden kam das freilich nicht in Frage.
Im Oktober 1940 suchte ein tagelanges fürchterliches Unwetter die ganze Region des westlichen Mittelmeers und der östlichen Pyrenäen heim. Das Lager wurde größtenteils verwüstet, viele Häftlinge ertranken. Die verbliebenen 3600 Internierten wurden auf andere Lager verteilt. Emil und Manfred Weil kamen in das Lager Gurs.
Etwa zur gleichen Zeit brachten weitere Transporte 6500 badische und Rheinpfälzer Juden nach Gurs. Unter ihnen befand sich auch Emils Schwester Auguste aus Eichstetten. Die Mutter „Esterle“ war zuvor noch von Eichstetten aus in ein Altersheim nach Unna in Westfalen verlegt worden und wurde von dort 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Über die Verhältnisse in Gurs muss ich nichts sagen, denn im Herbst 2010 hat Dr. Schwendemann hier in Eichstetten einen eindrucksvollen, diesbezüglichen Vortrag gehalten.
Emil Weil und seine Schwester Auguste sahen sich nach 17 Jahren in Gurs wieder. Auguste war verzweifelt und entmutigt. Sie konnte ihre Ausreise in die USA zu ihrem Sohn Isidor nicht mehr realisieren. Emil war desillusioniert und krank. Manfred indessen plante die Flucht aus Gurs. Der Vater riet ihm dazu, gab ihm von der eigenen schmalen Brotration ab, damit er bei Kräften bliebe; er selbst hatte keine Kraft mehr dazu. Die Flucht war ein Abschied für immer.
Die Schwester Auguste wurde im August 1942 mit dem ersten Transport von Gurs aus in das französische Lager Drancy bei Paris gebracht, von wo sie mit dem 17. Transport am 10.08.1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Seltsam, aber an diesem Deportationstag starb ihre Mutter Ernestine in Theresienstadt an Entkräftung.
Emil Weil wurde in einem späteren Transport nach Auschwitz deportiert. Als Todesdatum wird der 02.09.1942 angegeben. Es wäre ihm sicher ein Trost gewesen, wenn er noch erfahren hätte, dass seine beiden Söhne die Kriegs- und Nazizeit überlebt haben.
Der nun eingelassene Gedenkstein bringt die Erinnerung an Emil Weil an den Ort zurück, den er als seine Heimat, weil diejenige seiner Mutter und seiner Vorfahren, betrachtete, auch wenn er nie längere Zeit in Eichstetten weilte. Für uns ist er über das Gedenken hinaus Mahnung bei der Auseinandersetzung mit der Ortsgeschichte. Für Manfred Weil und seine Angehörigen ist er endlich ein Ort der stillen Zwiesprache mit dem Vater, ähnlich einem Grab. An dieser Stelle spricht nach jüdischem Ritus der Sohn das Totengebet. Nach 69 Jahren war das für Manfred Weil nun möglich. (Ursula Kügele, Stand Juli 2011)
Ernestine "Esterle" Weil
Ernestine Weil, genannt “Esterle” war eine vielen Eichstettern bekannte Person. Klein und zierlich, stand sie Tag für Tag in ihrem Lebensmittelgeschäft in der unteren Hauptstraße 18. Sie war auch den Kindern wohlbekannt, weil man bei ihr Bonbons en detail, also stückweise kaufen konnte. Das Häuschen, in dem sich das Geschäft befand, wurde vor ca. zwei Jahren abgerissen, eine weiße Grenzmauer zur Hauptstrasse hin kennzeichnet noch den ehemaligen Standort.
Obwohl im Ort bekannt, ist der Lebensweg von Ernestine Weil unklar. Mehrere Angaben in der Liste der Judengemeinde Eichstetten, die sie betreffen, sind mit Sicherheit falsch. Was ist gesichert? Die Eltern Maier Jakob Weil und Ehefrau Judith geb. Wertheimer sind auf dem hiesigen jüdischen Friedhof beerdigt. Ernestine wurde am 28.02.1859 in Eichstetten geboren und war das zweite von zwölf Kindern dieses Ehepaars. Von Ernestines elf Geschwistern erreichten acht das Erwachsenenalter, vier davon blieben in Eichstetten und verheirateten sich hier. Ernestine heiratete ebenfalls, das Datum ist nicht bekannt. Der in den Annalen mit präzisem Geburtsdatum angegebene Isaak Weil ist aber definitiv nicht ihr Ehemann gewesen und auch nicht der Vater ihrer Kinder. 1884 wurde die Tochter Auguste geboren, die später Siegfried Bloch heiratete und in der Hauptstraße 54 einen kleinen Kurzwarenladen betrieb. 1887 wurde der Sohn Jakob geboren. Dieser Sohn starb im Alter von 3 Jahren und wurde auf dem Eichstetter jüdischen Friedhof beerdigt.
Damit beginnen die Rätsel, denn auf dem Grabstein steht, dass der kleine Junge in Buffalo in Nordamerika geboren wurde. Die Stadt liegt am Ostrand des Erie-Sees und gehört zum Bundesstaat New York. 1880 war Ernestine Weil 21 Jahre alt und damit volljährig. War sie mit dem uns unbekannten Ehemann in die USA ausgewandert, wozu sich etliche Eichstetter zu dieser Zeit entschlossen? Oder war sie mit einer Gruppe ausgewandert und lernte erst in den USA ihren Ehemann kennen? Oder hatte man sie in die USA geschickt, wo der Ehemann schon vermittelt war, um die Mitgift zu sparen, was in kinderreichen Familien durchaus vorkam? Was den Namen des Ehemanns „Isaak Weil“ anbetrifft, so war gerade diese Kombination von Vor- und Zunahme zu der damaligen Zeit häufig anzutreffen. Ist der Ehemann in den USA bereits nach wenigen Jahren gestorben und Ernestine kehrte mit ihren zwei Kindern nach Europa zurück? Jedenfalls war sie im Oktober 1890 wieder in Eichstetten, als ihr Söhnchen starb. Die Klärung der obigen Fragen wird wohl nicht mehr möglich sein.
In Eichstetten erinnert man sich an die zierliche Frau in ihrem kleinen Lebensmittelgeschäft. Vielleicht weil Ernestine Weil alleinstehend und ihr Handel eher unbedeutend war, durfte sie ihren Laden bis Ende 1938 betreiben. Es war das letzte jüdische Geschäft, das zwangsweise geschlossen wurde. Ab Ende 1938, eventuell auch schon früher, wohnte Ernestine Weil bei ihrer Tochter Auguste Bloch in der Hauptstraße 54. Nach der Zerstörung der Synagoge am 10.11.1938 war der Schwiegersohn Siegfried Bloch zusammen mit fast allen jüdischen Männern von Eichstetten in das KZ Dachau transportiert worden, wo er ermordet wurde.
Die wirtschaftliche und soziale Not für die jüdische Bevölkerung war entsetzlich. Im Januar 1940 zog die inzwischen 81jährige Ernestine Weil in das israelitische Altersheim in Unna/Westfalen. Im Februar 1940 zog die Tochter Auguste nach Freiburg, vielleicht in der Hoffnung, die Ausreise in die USA zu ihrem Sohn Isidor doch noch in die Tat umsetzen zu können. Sie wurde aber im Oktober 1940 nach Gurs deportiert und 1942 letztlich in Auschwitz ermordet. Es ist nicht bekannt, wieso Ernestine Weil nicht in das vom Eichstetter H. Epstein mitbegründete israelitische Altersheim in Gailingen am Bodensee zog, wo viele alte Eichstetter die letzten Lebensjahre verbrachten. Die Korrespondenz mit dem Archivar in Unna erbrachte keine Hinweise auf irgendeine Verbindung zu Unna. Von dort wurde Ernestine Weil 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie, 83 Jahre alt, umkam. (Ursula Kügele, Stand August 2009)
Leopoldine und Rina Weil
Leopoldine Weil geb. Kleefeld wurde 1862 geboren und heiratete mit 21 Jahren den Eichstetter Handelsmann David Weil. David Weil, am 14.11.1857 in Eichstetten geboren und dortselbst am 29.04.1936 verstorben, war zweites von zehn Kindern von Isaak Weil, dem seinerzeitigen Vorsteher der israelitischen Gemeinde in Eichstetten, und seiner Ehefrau Karoline. Vier von Davids Geschwistern waren in Eichstetten verheiratet; es gab daher verwandtschaftliche Beziehungen zu den Familien Bloch, Epstein und Bickart.
Das Ehepaar David und Leopoldine Weil hatte vier Kinder, den 1883 kurz nach der Geburt verstorbenen Sohn Jakob, die 1885 und 1887 geborenen Töchter Bella und Thekla sowie die am 18.06.1895 geborene Tochter Rina. 1940, im Jahr der Deportation aller jüdischen Mitbürger im Land Baden, lebte die unverheiratete Rina Weil zusammen mit ihrer verwitweten Mutter Leopoldine Weil im Haus Altweg 16. Beide Frauen wurden am 22.10. 1940 nach Gurs (französische Pyrenäen) deportiert. Die fast 80 jährige Leopoldine Weil wurde 1941 in ein anderes französisches Lager in der Umgebung verlegt, wo sie verstarb. Rina Weil, 47 jährig, wurde 1942 von Gurs über das Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz transportiert und dort ermordet. (Ursula Kügele, Stand Januar 2007)
Moritz, Rosa und Rena Weil
Die jüdische Gemeinde von Eichstetten benötigte Metzger und Bäcker zu Einhaltung des jüd. Reinheitsgebots (koschere Speisen). Moritz Weil war Metzger, der letzte jüdische Metzger Eichstettens. In der Steuerliste von 1909 waren zwei Metzger angeführt: Jakob Bickart u. Moritz Weil. In der Steuerliste von 1900 waren es Jakob Bickart und Hermann Weil, der Vater von Moritz Weil. In der Ahnentafel stößt man auf den Großvater Marx Weil, ebenfalls Metzger. Dessen Vater, Löb Weil, war noch vor 1800 nach Eichstetten gekommen. Diese Weils gehörten also zu einer alteingesessenen Eichstetter Familie mit langer Metzgertradition. Moritz Weil wurde 1877 in Eichstetten geboren, als viertes der fünf Kinder des Metzgers Hermann Weil und dessen Ehefrau Julie. Der Sohn Moritz war es, der unter den Kindern die Metzgertradition fortsetzte und zwischen 1901 und 1909 die väterliche Metzgerei übernahm.
Etwa 1906 heiratete er Rosa Hofeler aus Eichstetten. Sie war übrigens die Nichte von Isaak Hofeler, zu dessen Andenken ein Stolperstein vor Altweg 11 verlegt ist. Das Ehepaar hatte eine Tochter, die 1908 geborene Rena. Um die wirtschaftliche Situation des Metzgereibetriebs unter Leitung von Moritz Weil einzuschätzen, muss man berücksichtigen, dass zur Klientel einer koscheren Metzgerei hauptsächlich jüdische Mitbürger zählten. Von 1900 an nahm die Zahl der jüdischen Bürger in Eichstetten aber successive ab: von über 250 im Jahr 1900 auf 129 Personen im Jahr 1925 bis auf gerade noch 90 Personen im Jahr 1933. Auch wenn man einkalkuliert, dass Jakob Bickart, der 2. Metzger vor Ort älter als Moritz Weil war und sein Geschäft vielleicht schon vor 1933 aufgab, wurde doch die wirtschaftliche Situation von Jahr zu Jahr schwieriger. Als 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten das Schächten von Tieren reichsweit verboten wurde, stellte sich für ein derartiges Geschäft die Existenzfrage.
Die Sorge der Eltern galt natürlich ihrer Tochter Rena. Aus dem Jahr 1933 ist in der Eichstetter Chronik (S.113) ein reizendes Bild dreier Freundinnen abgedruckt: Rena Weil, Klara Rinklin und Meta Weil (Foto). Welche Zukunftspläne diskutierten diese Drei? Rena Weil ging in den 30iger Jahren nach Stuttgart. Ob sie dort noch die Möglichkeit zu einer Weiterbildung hatte, ist eher unwahrscheinlich. Jedenfalls kam sie 1938 ins Elternhaus nach Eichstetten zurück. Der Viehhändler Isaak Weil, der Vater von Renas Freundin Meta, unterstützte schon früh die Ausreise seiner 5 Kinder. Meta soll bereits 1935 nach Rotterdam/Niederlande ausgewandert sein. Ihr ist 1939 die Flucht nach England gelungen. Die Freundin Rena Weil ging im März 1939 in die Niederlande. Eine Flucht nach England gelang ihr jedoch nicht mehr. Sie wurde nach Kriegsbeginn von den Nazis nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die Eltern Moritz und Rosa Weil, immer noch in Eichstetten, wurden wie alle noch Verbliebenen, am 22.10.1940 von hier nach Gurs in den Pyrenäen deportiert, von wo sie 1942 über das KZ Drancy nach Auschwitz transportiert und dort ermordet wurden. (Ursula Kügele, Stand Juli 2008)
Moritz und Paula Weil
Der Viehhändler Moritz Weil wurde am 05.03.1862 in Eichstetten als fünftes Kind von Isaak und Karoline Weil geboren. Er war somit jüngerer Bruder von David Weil und Schwager von Leopoldine Weil. Er war seit 1893 mit Klara Epstein verheiratet, die 1871 in Eichstetten geboren wurde und 1936 in Freiburg verstarb. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Paula geb. am 03.08.1894, sowie die Söhne Berthold geb. am 04.09.1895 und Isidor geb. am 02.06.1899. Zum Zeitpunkt der Deportation wohnte der Witwer Moritz Weil zusammen mit seiner unverheirateten Tochter Paula im Altweg 6. Von dort wurden beide am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Durch die erbärmlichen Verhältnisse im Lager Gurs kam es bereits im Winter 1940/41 zu Hunderten von Todesfällen, darunter auch der Tod von Moritz Weil. Über das Schicksal von Paula Weil ist Präzises nicht bekannt; es muss davon ausgegangen werden, dass sie mit einem der vier Transporte von Gurs in das Sammellager Drancy gebracht und nach Weitertransport im KZ Auschwitz umgebracht wurde. (Ursula Kügele, Stand Januar 2007)
Samuel Weil
Samuel Weil wurde in Ihringen am 15.06.1868 als Sohn des Händlerehepaars Seligmann und Henriette Weil geboren. Am 14.11.1898 heiratete er in Eichstetten die am 30.03.1873 geborene Klara Epstein. Sie war Tochter des Eisenhändlers Viktor Epstein und seiner aus Ihringen stammenden Ehefrau Rebekka geb. Günzburger.
Samuel Weil betrieb in Eichstetten einen Wein- und Kohlenhandel und wohnte mit seiner Familie im Haus Hauptstraße 32.
Das Ehepaar hatte einen Sohn Leo geb. 07.06.1900 in Eichstetten. Möglicherweise gab es noch weitere Kinder, denn es existiert von 1951 die Anfrage eines Benno Weil aus New York wegen Geburtsurkunde seiner Mutter Klara geb. Viktor Epstein. Als sich ab 1933 die Geschäftslage für Juden verschlechterte, und ab 1935 die Händlerkonzession von offizieller Seite auf ein Jahr beschränkt wurde, hat Samuel Weil 1936 als fast 70 jähriger seinen Handel eingestellt.
Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ließ sich das Ehepaar Samuel und Klara Weil scheiden. Klara Weil zog nach Nürnberg. Im Oktober 1939 zog Samuel Weil nach Haigerloch bei Stuttgart, von wo er 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurde. (Ursula Kügele, Stand September 2007)
Sophie Weil geb. Epstein
Sophie Weil geb. Epstein wurde am 11.07.1869 in Eichstetten als zweites von sieben Kindern des Viehhändlers Heinrich Marx Epstein und seiner Ehefrau Regina geb. Burger geboren. Die Familie zählte zu den wohlhabenden Familien am Ort.
Am 24.06.1895 verheiratete sich Sophie mit dem am 17.06.1864 in Eichstetten geborenen Handelsmann Ludwig (Elieser) Weil. Beide Ehepartner stammten aus alteingesessenen Eichstetter Familien.
Am 11.04.1896 wurde das einzige Kind, die Tochter Amalie, geboren. Diese ist in den Jahren zwischen den Kriegen von Eichstetten nach Mannheim fortgezogen. Der Ehemann Ludwig Weil starb in Eichstetten am 23.07.1916. Die verwitwete Ehefrau wohnte, nach der Erhebung im Jahre 1936, im Haus Hauptstraße 42 (heute Firma Schlecker), wo schon seit langem auch der Witwer Abraham Dreifuss mit seinem Sohn Max, seiner Tochter Lilly und deren Sohn und Ehemann wohnten.
Im September 1938 – zwei Monate vor der Zerstörung der Synagoge – zog Sophie Weil, fast 70 jährig, in das jüdische Altersheim nach Gailingen am Bodensee. Diese Möglichkeit nutzten einige betagte jüdische Eichstetter, denn dieses Haus war 1898 vom Eichstetter Heinrich Epstein zur Versorgung „Siecher und armer Greise“ errichtet worden. Dadurch erklärt sich auch, weshalb in der Anfang 1939 erstellten photographischen Kartei der jüdischen Mitbürger das Photo von Sophie Weil fehlt.
Die Bewohner des Altersheims wurden von der Deportation der badischen Juden am 22.10.1940 ebenso erfasst wie die jüdischen Mitbürger Eichstettens. Sophie Weil starb mit 71 Jahren im Lager Gurs. (Ursula Kügele, Stand September 2007)
Thekla Weil
Nicht zu verwechseln mit Thekla Weil, geb.1887, die auch im Altweg wohnte und noch aus Deutschland fliehen konnte. Ihr Vater hieß auch David, starb in den 30er Jahren und war mit Leopoldine Kleefeld verheiratet.
Mit dem Stolperstein im Altweg 13 gedenken wir Thekla Weils, die im Alter von 54 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Es gibt Lebensläufe, über die wir wenig in Erfahrung bringen können. Die Vorfahren dieser Familie Weil im Altweg 13 zählen zu denjenigen Weils, die sich bereits vor 1800 in Eichstetten niedergelassen hatten. Auf dem hiesigen jüdischen Friedhof befinden sich acht Grabsteine direkter Vorfahren von Thekla Weil. Theklas Vater David Weil, 1855 in Eichstetten geboren, war das siebtes von elf Kindern des Isaak Weil, (Jg. 1811). David heiratete 1886, im Alter von 31 Jahren die 27 jährige Paulina Bloch aus Schmieheim. Als Beruf war bei ihm Magaziner angegeben. 1887 wurde der Sohn Joseph geboren und am 31.05.1888 die Tochter Thekla. Thekla war noch keine vier Monate alt, als der Vater, erst 33 jährig, am 22.09.1888 starb. Die 29 jährige Witwe war nun alleine mit den zwei sehr kleinen Kindern. Da Frauen damals noch keine eigenständige Berufsausbildung erwarben, wird es ein Leben in Bescheidenheit gewesen sein, das die Familie führte, geprägt von der Erziehung der beiden Kinder, den Regeln der Religion und der Notwendigkeit, den Alltag zu meistern. Allzu groß wird die Unterstützung durch die Familie ihres Ehemannes vor Ort nicht gewesen sein, denn von den zehn Geschwistern ihres verstorbenen Mannes hat keines in Eichstetten geheiratet und nur ein Bruder ist im Erwachsenenalter in Eichstetten gestorben. Irgendwann hat der Sohn Joseph Eichstetten verlassen – wir kennen seinen weiteren Werdegang nicht – und Mutter mit Tochter blieben in Eichstetten zurück. Die mutwillige Zerstörung der hiesigen Synagoge am 10.11.1938 muss für die beiden Frauen, die ja gegenüber vom Gotteshaus lebten, die schiere Hölle gewesen sein. Die Mutter Paulina Weil war damals bereits 79 Jahre alt, die Tochter Thekla 50 Jahre alt. Aus heutiger Sicht kann man es als Gnade empfinden, dass die 80 jährige Mutter am 16.08.1939, gut ein Jahr vor der überraschenden Deportation der badischen Juden starb. Ihre Beerdigung war die vorletzte auf dem jüdischen Friedhof in Eichstetten. Thekla Weil wurde am 22.10.1940 mit den verbliebenen Eichstetter Juden nach Freiburg gebracht und von dort in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. Zwei Jahre später erfolgte der Transport nach Drancy bei Paris; wenig später dann der Weitertransport nach Auschwitz. Das KZ Auschwitz hat kein Eichstetter jüdischen Glaubens überlebt. (Ursula Kügele, Stand August 2009)